Der 15-jährige Kafka Tamura beschließt, von zuhause fortzulaufen, um seinem Vater zu entkommen, der ihm prophezeite, Kafka werde mit seiner Schwester und seiner Mutter schlafen und ihn umbringen. Die Mutter und Schwester verließen die Familie, als Kafka vier Jahre alt war. Muskulös und mit ausreichend Geld sowie einem gut gefüllten Rucksack ausgestattet, macht Kafka sich auf den Weg, Tokio zu verlassen.
Haruki Murakamis „Kafka am Strand“ – Inhalt
Auf der Reise, die ihn ziellos nach Westen führt, lernt er die junge Sakura kennen, die er mangels besseren Wissens kurzweilig für seine Schwester hält. Schließlich erreicht Kafka die Komura-Gedächtnisbibliothek, wo er sich sofort gern aufhält. So vergehen einige Tage zwischen Hotel, Fitnessstudio und Bibliotheksbesuchen, bis der Junge eines Nachts blutverschmiert in einem Gebüsch erwacht.
Zur etwa gleichen Zeit hatte der geistig behinderte Nakata, der die Fähigkeit hat, mit den Katzen zu sprechen, eine Begegnung mit Johnnie Whalker, der eine von Nakata gesuchte Katze umzubringen droht. Dazu fordert er Nakata dazu auf, ihn zu töten, um eine Hypothese zu überprüfen. Schließlich seien dies die Regeln und so sei nur Nakata als Mörder dazu in der Lage, die gesuchte Katze zu retten.
Es stellt sich wenig später heraus, dass Kafkas Vater ermordet wurde – aber offensichtlich nicht von Kafka, denn der hatte sich zu besagter Zeit nicht in Tokio aufhalten können. Von Oshima, dem Angestellten der Bibilothek, erhält Kafka daher die Möglichkeit des Rückzugs in eine Berghütte.
Nakata beschließt, nachdem er vergeblich versuchte, sich bei der Polizei wegen Mordes selbst anzuzeigen, Tokio zu verlassen. Er weiß nicht, wo er hin muss, weiß aber, dass es etwas gibt, was er tun muss. Nicht zuletzt der nur halb vorhandene Schatten, auf den ihn eine Katze ansprach, erweckt in Nakata das Gefühl, dass ihm etwas Wichtiges verloren gegangen sei.
Kafka macht unterdessen nähere Bekanntschaft mit Fräulein Saeki, die die Komura-Gedächtnisbibliothek leitet und in der Kafka seine Mutter sieht.
Warum „Kafka am Strand“ so geil ist
Murakami bedient sich wie üblich des magischen Realismus‘. Doch vermag er es mit der Mischung aus grenzenloser Naivität, die beide Hauptcharaktere umgibt (Kafka aufgrund seines Alters und seines Verlangens, seine Mutter und Schwester zu sehen und Nakata aufgrund seiner liebenswürdigen Dummheit) und existenziellen Fragen, jeder einzelnen Handlung einen Sinn zu verleihen. Selbst das Lesen über Adolf Eichmanns Prozess durch Kafka und das ständige Bemühen Nakatas, den hilfsbereiten Menschen auf seinem Weg zu danken, bekommen so eine Bedeutung, die den Leser das Unmögliche an der Geschichte einfach akzeptieren lässt.
Selten stellte sich die Frage, warum etwas so geschehen sollte, wie es dort geschah. Auch vom Himmel fallende Blutegel und 15-jährige Geistermädchen mit sexueller Handlungsbreitschaft scheinen hier so selbstverständlich, wie die Tatsache, dass es gelegentlich eben regnet.
Murakami nimmt sich den ödipalen Fluch und macht daraus einen zweisträngigen Road-Movie, in welchem zwei Menschen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben dürften, einer ähnlichen Mission folgen: Sie beide suchen nach dem fehlenden Teil. Dabei bildet Nakata, der in seiner Minderbemitteltheit so unglaublich liebenswert ist, einen krassen Gegensatz zu Kafka, der sich stets um Gefasstheit und Abgeklärtheit bemüht. Doch es zeigt, dass der alte, dümmliche Mann weit mehr Kräfte heraufbeschwören kann, als Kafka in seinem Leben überhaupt vermutet.
Was hätte Madeline Miller anders machen können?
Das Ende ist – wie bei so vielen seiner Bücher – so, dass nur eine Leere zurückbleibt. Nach der letzten Seite fehlen noch mindesten einhundertfünfzig weitere, denn so viele ungeklärte Fragen stehen im Raum. Vielleicht macht dies den Zauber aus, der von „Kafka am Strand“ ausgeht, aber es bleibt doch die Frage, wo denn nun all die Leute hingegangen sind, die gerade eben noch so wichtig waren? Die großen Missionen sind erfüllt, aber die vielen phantastischen Details verblassen am Ende vor dem Hintergrund der zum Teil aufgelösten Haupthandlung.
Abgesehen davon lässt sich auch in „Kafka am Strand“ wieder gut nachvollziehen, dass sich das Sexualverständnis des Lyrischen Ichs Murakamis größtenteils auf Ejakulationen zu beschränken scheint.
Bibliographische Angaben
„Kafka am Strand“
Haruki Murakami
Dumont
2004
ISBN 978-3-8321-7866-6
28 Euro (Hardcover)
640 Seiten
Zum Autor
„Kafka am Strand“ erschien erstmals im September 2002 im japanischen Original. Am 25.02.2004 wurde die durch Ursula Gräfe übersetzte Fassung durch den DuMont-Verlag herausgebracht.